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Prof. Dr. A. A.

BISPO

ANAIS 

ESTUDOS CULTURAIS & MUSICOLOGIA

BRASIL-EUROPA

Jurafakultäten von São Paulo und Recife

Julius Frank 1808-1841) und die Burschenschaft (1831)
- Kultur- und Musikforschung -



STUDIENPROGRAMM DEUTSCHLAND/BRASILIEN

AKADEMIE BRASIL-EUROPA
ISMPS


Gesellschaft Nova Difusão, Zentrum für Forschungen in Musikwissenschaft, Madrigal das Arcadas,
Philosophische Fakultät der Universität São Paulo, Fakultät für Musik und Musikerziehung des Musikinstituts São Paulo, Musikwissenschaftliches Institut der Universität Köln, u.a.


seit

1968


Die Rechtsakademien von São Paulo, von Recife und Deutschland war ein Thema, das in den 1960er Jahren in São Paulo unter verschiedenen Aspekten diskutiert wurde und Auswirkungen auf die spätere Entwicklung der Studien von Kulturprozessen unter besonderer Berücksichtigung der Musik in Brasilien und Europa hatte. Die Überlegungen gingen der Eintragung als Gesellschaft der Nova Difusao-Bewegung und ihres musikwissenschaftlichen Forschungszentrums im Jahr 1968 voraus. Sie stellten das Thema der Eröffnungssitzung der so institutionalisierten Bewegung dar, die mit einem Vortrag und einem Konzert des aus ehemaligen Studenten der juristischen Fakultät der Universität São Paulo bestehenden Madrigal das Arcadas gestaltet wurde.


Madrigal das Arcadas, dessen Name seine Ursprünge und seine Verbindung zum historischen Gebäude der Faculdade do Largo de São Francisco zum Ausdruck bringt, war eng mit der Bewegung Nova Difusão verbunden, die darauf abzielte, Ansichten und Überzeugungen durch Analysen historischer Prozesse zu überprüfen, zu erneuern und so eine neue Denkweise zu fördern. Abgrenzungen und Kategorisierungen vom Gegenstand der Betrachtungen sowie von Arealen und Sphären unter verschiedenen Aspekten sollten überwunden werden. Es entsprach dem Anliegen, sich mit der Geschichte des Universitätsstudien in Brasilien und der Rolle der Studenten in der Vergangenheit und Gegenwart von São Paulo in den Jahren auseinanderzusetzen, die von dem Ausbau des Campus der Universität sowie von Studentenbewegungen, die sich in ihrer politischen Orientierung dem rechtsgerichteten Militärregime widersetzten, geprägt waren.


Die Facultät des "Largo de São Francisco" hatte in bestimmten Kreisen ein von gegensätzlichen Tendenzen geprägtes Image. Die studentische Kritik richtete sich auf Denker und Professoren, die meist Juristen waren, darunter Miguel Reale (1910-2006), eine Persönlichkeit mit  integralistischen Vergangenheit (AIB – Brasilianische Integralistische Aktion). Diese Situation erforderte von den Akademikern der traditionsreichen Rechtsfakultät, ihre eigene Vergangenheit zu studieren sowie über neue Entwicklungen und Aktualisierungen nachzudenken. Das Madrigal das Arcadas nahm an mehreren Veranstaltungen in Institutionen und auf öffentlichen Plätzen bei Initiativen der Nova Difusão teil. Es wurde sogar als Madrigal dieser als Verein institutionalisierten Bewegung verstanden. Ihr Dirigent und mehrere seiner Teilnehmer spielten eine wichtige Rolle bei den folgenden Entwicklungen in Brasilien und dann in Europa, darunter Roberto Dante Cavalheiro Filho, José Carlos de Azevedo Leme und Maria de Lourdes Cutolo.


Die Bedeutung der gleichzeitig mit Recife gegründeten Rechtsakademie von São Paulo im 19. Jahrhundert nfür die Erforschung von Kulturprozessen in den Beziehungen zwischen Deutschland und Brasilien wurde mehrfach in Tagungen, Kolloquien und Kursen in Brasilien und später in Deutschland thematisiert. Die Geschichte der ehemaligen Academia Paulista und ihre Bedeutung für die intellektuelle, kulturelle und politische Geschichte Brasiliens waren bereits seit Langem von mehreren Autoren behandelt worden, deren Werke in Kursen an der Universität von São Paulo, insbesondere an der philosophischen Fakultät studiert wurden.


Auch die Bedeutung der juristischen Fakultät von São Paulo für musikhistorische Studien war schon lange bekannt. In der Literatur von São Paulo ragte in diesem Sinne Clóvis de Oliveira (1910-1975) heraus, dessen Studien über die Faculdade do Largo São Francisco in einem weit verbreiteten Werk den Ausgangspunkt für musikhistorische Studien zu São Paulo Mitte der 1960er Jahre bildeten. Sein Werk wurde 1969 von Odilon Nogueira de Matos (1916-2006) in einem Kurs über Musikgeschichte São Paulos an der Philosophischen Fakultät der Universität São Paulos mit besonderer Aufmerksamkeit kommentiert.


Bei den Vorarbeiten zur Institutionalisierung der Nova Difusão-Bewegung wurde das Bewusstsein dafür geweckt, dass die geistigen und kulturpolitischen Prozesse, die im Bereich der Rechtswissenschaften in São Paulo ausgelöst wurden, in Zusammenhang mit denjenigen betrachtet werden müssten, die zur selben Zeit von der Rechtsfakultät in Recife ausgingen. Die sogenannte "Escola de Recife" war eines der Hauptthemen in brasilianischen Literaturstudien. Literaten und Gestalten der Kulturforschung wie Sílvio Romero (1851-1914) in seinen Beziehungen zu Tobias Barreto (1830-1885) und den Spannungen zu dem portugiesischen Denker, Volkskundler und Politiker Teófilo Braga (1843-1924) waren ein wichtiger Gegenstand von Überlegungen und Debatten in Kreisen des Museu de Artes e Técnicas Populares von São Paulo.


Diese Beziehungen zwischen den ehemaligen Rechtsakademien São Paulos und Recifes und ihre Bedeutung für die Geistes- und Kulturgeschichte des Nordostens im internationalen Kontext, insbesondere im Zeichen der Rezeption deutscher Geistesströmungen, wurden im Rahmen des Internationalen Musikfestivals von Paraná 1969 mit Musikern und Forschern aus dieser Region – unter anderem mit Jayme Alves Diniz – diskutiert. Das Thema war ein Hauptanliegen von Kolliquien, die 1972/73 in Pernambuco, Sergipe und Alagoas stattfanden.


Diese Debatte setzte sich in den folgenden Jahren fort. Dabei wurden die Beziehungen von Intellektuellen und Diplomaten, die von Tendenzen und Strömungen geprägt waren, welche von der Rechtsakademie von Recife ausgingen, 1976 erneut Gegenstand von Überlegungen, dem Jahr des 100. Jubiläums der Bayreuther Festspiele. Sie wurden unter dem Aspekt der Wagner-Studien und der Wagner-Rezeption in Brasilien insbesondere von Persönlichkeiten mit republikanischen Einstellungen im Instituto Nacional de Música von Rio de Janeiro diskutiert. Eine besondere Aufmerksamkeit galt der Weiterwirkung dieser Denkströmungen zur Zeit des Nationalsozialismus. Die Debatte wurde in anderen Kontexten und bei anderen Gelegenheiten fortgesetzt. 


Diese Thematik wurde unter dem Aspekt der gegenseitigen Bilder von Deutschland und Brasilien beim Musikforum Deutschland/Brasilien 1981 in Leichlingen behandelt. Die Bedeutung der Juristischen Fakultät von São Paulo für die musikwissenschaftlichen Studien São Paulos und Brasiliens wurde symbolisch durch die Wahl des Largo de São Francisco für das Abschlusskonzert der Woche hervorgehoben, in der die Brasilianische Gesellschaft für Musikwissenschaft 1981 gegründet wurde.


Ausgangspunkt aller Überlegungen war die Rolle von Julius Frank (1808–1841) in der Rechtsfakultät von São Paulo. Julius Frank war Teilnehmer des erfolglosen Sturms auf die Hauptwache und Konstablerwache in Frankfurt im Jahr 1833, und floh, um nicht verhaftet zu werden, nach Brasilien. In São Paulo wurde er Professor an der Rechtsfakultät und gründete die Burschenschaft – Bucha. Das Grab von Julius Frank (1808-1841) in den Arkaden des Fakultätsgebäudes wurde zu einem kulturhistorischen und politischen Wahrzeichen, das den Blick auf die Verbindungen Brasiliens zu intellektuellen und politischen Strömungen im deutschsprachigen Raum im 19. und ihre Folgen im 20. Jahrhundert lenkt.Der Beginn der Auseinandersetzung mit der Geschichte der Rechtsfakultät in der neuen Gesellschaft wurde 1968 symbolisch durch den Besuch seines Denkmals/Grabes und durch Überlegungen über die Rolle eingeleitet, die das Denken deutscher Philosophen und nationale und liberale Strömungen in politischen und kulturpolitischen Entwicklungen Brasiliens spielten. Diese wirkten sich vor allem auf Entwicklungen aus, die 1889 zur Gründung der Republik führten. 


Julius Frank richtete den Blick der Forschung vor allem auf Göttingen und Gotha, auf seine Einschreibung in die Geschichte der deutschen Studentenverbindungen. In diesem  politisch-kulturellen Kontext deutscher Geschichte ist sein Wirken in São Paulo und die Gründung der  Burschenschaft São Paulos zu betrachten. Seine Teilnahme am Aufstand von 1833 muss vor dem Hintergrund der Zustände gesehen werden, die mit der Restauration durch den Wiener Kongress etabliert wurden und zur Stärkung von Absolutismus und Macht der Fürsten in den verschiedenen deutschsprachigen Staaten führten. Gegen diese Situation widersetzten sich Studenten, die meist aus bürgerlichen Kreisen stammten und nach Freiheit strebten. Die erste Demonstration war 1817 das Wartburgfest, dem eine Unterdrückung studentischer Aktivitäten 1819 folgte. In den 1830er Jahren erlebte die Studentenbewegung eine Intensivierung, die sich beim Hambacher Fest 1832 manifestierte. 


Die Übertragung dieser Bestrebungen auf Brasilien erfordert notwendigerweise Differenzierungen und zugleich ein Aufspüren von Parallelen in den Jahrzehnten, die der Unabhängigkeit des Landes 1822 folgten. Die Aufmerksamkeit muss auf die tragenden Ideen und Anliegen gerichtet werden, auf das Nationale in einem anderen Kontext und auf die Freiheit im Sinne des Liberalismus. Seine Anpassung an den brasilianischen Kontext kann nur verstanden werden, wenn man nicht von einer Übertragung des deutschen Kontextes auf Brasilien ausgeht, sondern von seinen Ideen, seinen leitenden idealen Prinzipien und Bestrebungen. Das Anliegen, einen deutschen Nationalstaat zu schaffen, hing zusammen mit einer bestimmten Kulturauffassung, die eine nationale Kultur nicht nur auf die Sprache, sondern auch auf  Abstammung und ethnische Zugehörigkeit bezog.


Studien zu Burschenschaften und "Bucha" in Brasilien sollten sich nicht nur auf deren Vorgeschichte und damit auf den Kontext konzentrieren, in den sich Julius Frank einfügte, sondern auch auf die Rolle, die sie in späteren Entwicklungen im 19. Jahrhundert spielten, und insbesondere auf ihr Weiterbestehen im 20. Jahrhundert. Die Studien fokussieren auf weiterwirkende Strömungen nationaler und nationalistischer Gedanken und Bestrebungen, interne Spannungen und politische Problematik, die sich durch die enge Beziehung der Burschenschaften zum Nationalsozialismus in Deutschland offenbaren.


Die Studien, die zur Zeit der Institutionalisierung der Nova Difusão-Bewegung in São Paulo unter Beteiligung von Madrigal das Arcadas und Alademikeer der Rechtsfakultät durchgeführt wurden, zielten darauf ab, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass die von Julius Frank nach São Paulo übertragene Studentenverbindung mit Aufmerksamkeit analysiert werden muss. Es muss stets vergegenwärtigt werden, dass in die Burschenschaften oder "Buchas" ausschließlich Jungen (Burschen) und ehemalige Studenten aufgenommen wurden, die von maskulinen Auffassungen und Verhaltensformen wie Furchtlosigkeit, Mut, Entschlossenheit und Verteidigungsbereitschaft geprägt waren. Sie wurden geleitet von nationalen Ideen und einer Auffassung von Nationalkultur, die auf Abstammung basiert. Sie schufen enge Verbindungen zwischen ihren Mitgliedern und soziale Netzwerke, die politische und politisch-kulturelle Entwicklungen bestimmten. Mehrere derjenigen, die die Akademie verließen und von "Bucha" geprägt wurden, spielten eine wichtige Rolle in der republikanischen Bewegung und übernahmen einflussreiche Positionen in dem 1889 errichteten Regime.


Die Ideen und Einstellungen der Burschenschaft dürfen auch im Hinblick auf die Musik nicht außer Acht gelassen werden. Institutionen wie das Instituto Nacional de Música, das dem Kaiserlichen Konservatorium für Musik nachfolgte, wurden unter Leitung republikanischer Musiker gestellt. Diese politische Orientierung darf auch nicht in den empirischen Kulturstudien unbeachtet bleiben. Die auf Abstammung fußende Auffassung einer nationalen Kultur bestimmte Strömungen volkskundlicher Studien in Brasilien. Sie wurden u.a. mit Rossini Tavares de Lima bei Sitzungen des Museums für Volkskunde São Paulos diskutiert.


Die Betrachtung des Studentenlebens an der Rechtsakademie von São Paulo in den 1960er Jahren war in vielerlei Hinsicht ein Ausgangspunkt für diejenigen, die sich in den Kultur- und Musikwissenschaften mit den Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland befassten. Sie gaben Anlass für die Sammlung von Dokumenten des Musiklebens von Österreichern und Deutschen in São Paulo im 20. Jahrhundert sowie von Interviews und Aufzeichnungen von Erinnerungen von Musikern österreichischer und deutscher Abstammung. 


In diesen Arbeiten wurde jedoch deutlich, dass sich die Untersuchung der Beziehungen zwischen Deutschland und Brasilien keineswegs auf die Rezeption geistiger und politisch-kultureller Strömungen beschränken darf, die durch den deutschen Einfluss im akademischen Bereich und die Ausstrahlung der Rechtsakademien von São Paulo und Recife bestimmt wurden. Viele andere, zum Teil divergierende Strömungen müssen auch im Hinblick auf ihre Wechselwirkungen berücksichtigt werden. Darunter sind diejenigen zu erwähnen, die aus einem ganz anderen Zusammenhang und aus kirchen- und kulturpolitischen Strömungen zu erklären sind, wie die deutschen Missionare des sogenannten Ultramontanismus aus der Zeit des deutschen Kulturkampfes. 


Studenten der Jurafakultät waren schon immer die schärfsten Kritiker der restaurativen Tendenzen der Kirche, insbesondere der Jesuiten und anderer Orden, wie die damals untersuchten Studentenpublikationen aus São Paulo belegen. Organisten und Komponisten, die von der Rezeption kirchlicher restaurativer Entwicklungen geprägt waren, können daher nicht als primär von der nationalen oder nationalistischen Strömung der Ideen und des Anliegens der Burschenschaften oder der sogenannten "Escola de Recife" beeinflusst angesehen werden. Ihre Musiksprache dürfte eher auf Rezeption einer romantisch-sentimentalen Musik zurückzuführen sein, die dem Interesse an den Traditionen der Völker (im Plural !) des Jahrhunderts der Romantik entsprach. 


Eine weitere Strömung der Beziehungen zu Österreich und Deutschland wurde bei der Errichtung der Bewegung Nova Difusão als Verein von der Bach-Gesellschaft von São Paulo in Erinnerung gebracht. Sie lenkte die Aufmerksamkeit auf das Mozarteum von Salzburg zur Zeit des Zusammenbruchs der Doppel-Monarchie im Ersten Weltkrieg. Diese Beziehung richtete das Interesse auf eine Entwicklung, die bereits in Europa eng mit Brasilien verbunden war. Die dort entstandene studentische Musikerakademie war geprägt von der Rezeption von Darius Milhauds "Saudades do Brasil" in Europa, das eine emblematische Bedeutung erlangte.


Die Überlegungen, die aus den deutsch-brasilianischen Beziehungen im akademischen Leben der Juristischen Fakultät von São Paulo hervorgingen, weckten das Bewusstsein für die Notwendigkeit, die Vielfalt der Strömungen in den deutsch-brasilianischen Beziehungen zu beachten, was die Arbeit der Akademie Brasil-Europe ( ABE) prägt. Während sich das Centro de Pesquisas em Musicologia der Bewegung Nova Difusão einer prozessorientierten Musikforschung widmete, richtet die ABE ihre Aufmerksamkeit auf Kulturstudien, die die Musik als leitendes Prinzip hat. Jegliche Verallgemeinerungen, alle von Stereotypen geprägten Ansichten bei der Untersuchung der Beziehungen zwischen Deutschland und Brasilien müssen vermieden werden.


Materialien

(Text in portugiesischer Sprache)


Academia X Convento. Secularização e anti-secularização em referenciações alemãs: a Bucha